08
August
2013

Wer Schutz braucht, wird mit Haft bestraft (FR 08.08.13)

Flüchtlingsrechte sind in vielen EU-Staaten Fehlanzeige
Von Ursula Rüssmann

Es ist immerhin ein kleines Happy End im jüngsten Flüchtlingsdrama vor Malta, dass die gut 100 Betroffenen in Italien an Land gehen durften. Aber es wird für sie allenfalls ein vorläufiges sein, denn Italien, das ist amtlich durch zahlreiche Gerichtsurteile, behandelt Flüchtlinge so schlecht, dass es kaum noch zu toppen ist: Von „systematischen“Mängeln im Asylverfahren ist die Rede, von Massenobdachlosigkeit Asylsuchender, schlicht von „unmenschlicher Behandlung“. Italien steht damit nicht allein in der EU.
Die Horrorzustände an den Außengrenzen haben System– obwohl sie eklatant gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Malta wurde gerade im Juli vom Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof (EGMR) verurteilt, weil die Behörden des Landes eine somalische Flüchtlingsfrau 18 Monate unter übelsten Bedingungen
inhaftiert hatten. Die Frau war schwanger gewesen, als die Niederlande sie Anfang 2011 nach Malta schickten – sie verlor im Haftlager ihr Kind. Per einstweiliger Verfügung hinderte der EGMR ebenfalls im Juli Maltas Behörden daran, Hunderte gerade gestrandete Bootsflüchtlinge gleich per Charterflug nach Libyen zurück zu expedieren. Auch Zypern verdonnerte der EGMR zu Entschädigungszahlungen: Der Inselstaat hatte einen syrischen Kurden in das Bürgerkriegsland zurückschieben wollen, ihn zu Unrecht inhaftiert und ihm Rechtsschutz verweigert.
Damit ist die Horror-Liste noch nicht zu Ende. Ungarn, so warnt das UN-Flüchtlingskommissariat, sperrt Asylbewerber monatelang ein – wenn es sich um Familien mit Kindern handelt, immerhin noch 30 Tage. Abschiebehaft dauert noch länger. Flüchtlinge würden wie Verbrecher behandelt und in Handschellen zur Anhörung vorgeführt, einige beklagten außerdem, durch systematisch verabreichte Beruhigungsmittel abhängig geworden zu sein. Budapest schiebt Flüchtlinge außerdem ohne Verfahren nach Serbien ab, wo es so gut wie keinen Asylschutz gibt. Griechenland versucht, ähnlich wie Malta und Italien, mit allen Mitteln zu verhindern, dass Flüchtlinge seine Grenzen passieren. Amnesty International dokumentierte im Juli 39 Fälle, in denen Menschen in der Ägäis oder auf dem Grenzfluss Evros gestoppt und auf die türkische Seite zurückgedrängt wurden. So habe die Küstenwache aus dem Boot eines 17-jährigen Afghanen und seiner kleinen Geschwister den Motor abmontiert und sie hilflos treiben lassen, bis sie von türkischen Kräften festgenommen wurden.

Rund 300 Todesopfer, schätzt Pro Asyl, hat diese Politik seit Mitte 2012 gefordert. Die deutsche Bundesregierung musste erst im Dezember den Rückführungsstopp von Flüchtlingen nach Griechenland um ein Jahr verlängern, weil sich an den krassen Menschenrechtsverstößen im Land nichts geändert hat. Amnesty und Pro Asyl prangern unter anderem monate-, teils jahrelange Inhaftierungen von Flüchtlingen an, „darunter auch Kinder“, so Amnesty. Vordergründig könnte man den hohen Zuzugsdruck an den EU-Außengrenzen verantwortlich machen für die unmenschliche Härte Maltas, Griechenlands, Italiens und Ungarns: Allein in Malta strandeten 2013 bereits 1000 Flüchtlinge, in Italien knapp 8000, in Griechenland 6000. Tatsächlich liegt die Wurzel aber im Dublin-II-System der europäischen Asylpolitik. Laut Dublin II muss der EU-Staat ein Asylverfahren durchführen, in dem ein
Flüchtling erstmals EU-Boden betritt. Das nutzen die EU-Binnenstaaten eifrig, Flüchtlinge in diese Staaten zurückzuschicken – und belasten sie damit noch mehr.

Ganz vorn mischt Deutschland mit, wenn es ums Rückschieben geht, Tendenz steigend. Je 3000 Dublin-II-Rückführungen verzeichnet die Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) für 2011 und 2012. In diesem Jahr, fürchtet Karl Kopp, Europa-Experte von Pro Asyl, werden es viel mehr sein: Schon bis Ende Juni schickte Berlin 2300 Menschen in andere EU-Staaten zurück, weil die zuständig seien. Bisher war Italien Hauptzielland deutscher Rückführungen, aber häufiger versperren Gerichte den Weg dorthin. So waren 2013 erstmals über Polen eingereiste Flüchtlinge die größte Gruppe, die zurückgeschickt wurde: insgesamt 700 Menschen, damit fast doppelt so viele wie insgesamt in 2012, und vor allem tschetschenische Russland-Flüchtlinge. So antwortet das Bundesamt auf die stark gestiegenen Flüchtingszahlen aus Russland – ohne sich mit der Verfolgungslage in Tschetschenien befassen zu müssen. Pro-Asyl-Mann Kopp verurteilt diese Politik: „Die Menschen werden zurückgeschickt, ohne ihre Fluchtgründe hier zu prüfen.“ Gerade tschetschenische Frauen seien aber häufig schwer traumatisiert und könnten in Polen nicht versorgt werden. Erste Gerichtsurteile bemängeln inzwischen, dass auch in Polen Asylbewerber oft inhaftiert und dort schikanös behandelt werden.



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Weitere Informationen zu "Wer Schutz braucht, wird mit Haft bestraft (FR 08.08.13)"
  • Autor: Volker
  • Kategorie: Allgemein
  • Veröffentlichung: 08.08.2013 09:29
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